Mittwoch, 18. März 2015

Ein wundervoller, ehrlicher Film über die Verlogenheit: »Die Katze auf dem heißen Blechdach«.

Cat on a Hot Tin Roof
Drama | US 1958 | 108 Minuten | FSK 12 | Regie: Richard Brooks

»Der Felsbrocken hat einen Sprung bekommen.«

Was für ein spannendes Meisterwerk aus vollkommen überbrodelnden emotionalen Kreisläufen und Zusammenbrüchen, ständig auf der Suche nach Wahrheit in einer Familie, die allein aus Verlogenheit zusammengehalten wird. Selbst die Kinder, die immer wieder den gefühlt ersten wahrheitsgemäßen Dialog zwischen Brick und Maggie stören, wirken wie eine einzige Farce. Und eigentlich verläuft so ziemlich alles in diesem Film im Kreis: Sei es der Musikapparat, der von dem Einen eingeschaltet, vom Anderen wieder ausgeschaltet und vom Dritten wieder eingeschaltet wird, oder das ständige Gestreite, bei dem doch nie wirklich auf den Punkt gekommen wird – zumindest nicht für eine lange Zeit. Dieser ganze Geburtstag von Big Daddy wird so künstlich inszeniert und in allem Überfluss von Schmuck und Süßigkeiten gestelzt. Die Kinder wieder, als agieren sie hier lediglich als Symbol und Beweis für die familiäre Harmonie, werden wie eine Schar Schmuckstücke zur Unterhaltung dahingestellt – aber leiden kann sie hier doch irgendwie keiner so wirklich.

Die Traurigkeit der scheinenden Fassade dieser Familie bekommt seinen ersten Höhepunkt, als Big Mama zum ersten Mal bemerkt, dass ihre Liebe zum Ehemann eigentlich nie von gemeinsamen Glück beseelt war – wie sie es in Worte fasst: »Ich habe sogar deinen Hass und deine Härte geliebt. Du hast mich nie geliebt. «  Auch wenn Big Daddy es an dieser Stelle noch nicht weiß, dem Zuschauer zumindest kommt es bereits eindeutig so vor, als ob Big Daddy vor seinem Abgang endlich mit allen Lügen seines scheinbar strahlenden Lebens aufräumt.

Doch der interessanteste Charakter des ganzen Geschehens ist mit Sicherheit Brick – der mich auf eine bestimmte Weise ein wenig an Justine aus »Melancholia« erinnert. Ein so zerbrechlicher oder bereits zerbrochener Mensch, zurückgezogen auf der großen Party, zurückgezogen von den Menschen, die aufgrund der großen Feierlichkeit ein dickes Grinsen aufzusetzen versuchen. »Ich hasse diesen Ekel. Ich hasse diese schmutzigen Lügen und diese dreckigen Lügner. Ich halte diese Lügen nicht mehr aus! « Was Brick fehlt wird im Film, genauso geheimnisvoll wie die Thematik in der damaligen Realität war, angespielt: nämlich sein verstorbener Freund Skipper, mit dem er eine versteckte Liebesbeziehung pflegte. Nach dem Tod seines Freundes ist er zum Trinker geworden – er hält sein Leben nicht mehr anders als betrunken aus. Gefangen in seiner Gesellschaft muss er – genau wie nahezu alle anderen der Familie – in einer Lüge leben. Einer der größten Momente des Films ist daher auch die Szene im Keller, in der er mit seinem Vater spricht und es verzweifelt über die Lippen bringt: »Ich weiß nicht, was Liebe ist! Ich brauche etwas anderes! « – anschließend zertrümmert er all die Erinnerungsstücke aus aller Welt, die Vasen und Holzfiguren, aus Wut auf sich selbst und auf alle Menschen um ihn herum. Und sicherlich auch aus einem tiefen Liebeskummer. Dass die Thematik von Bricks Homosexualität im Film weniger explizit zum Vorschein kommt als im Stück, darf man 1958 nicht anders erwartet haben. Dennoch vergisst der Film das Thema nicht und behandelt die Thematik so verdeckt wie möglich – was Bricks Unsicherheit betont, damit an die Öffentlichkeit zu gehen –, aber so eindeutig wie nötig, dass der Zuschauer nur auf eine Lösung kommen kann, was zwischen Brick und Skipper lief. Und nicht zuletzt konfrontiert der Film auch mit vielen anderen Tabuthemen der damaligen Zeit: Alkoholsucht, Unfruchtbarkeit, Krebs, Falschheit in der Familie und Ehebruch.

Auch wenn das Ende [Achtung, kleiner Spoiler!] sehr nach Happy End aussieht, bleibt einem das »Happy« ein wenig im Halse stecken. Mir fällt zum Ende das wunderbare Zitat aus »Der große Gatsby« ein: »So regen wir die Ruder, stemmen uns gegen den Strom – und treiben doch stetig zurück, dem Vergangenen zu.«

Welch ehrlicher Film über die Lüge. 




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