Donnerstag, 29. November 2012

Paul Thomas Andersons ›Boogie Nights‹ und die ultrageile Geschichte eines Pornokönigs.

Boogie Nights
Tragikomödie | USA 1997 | FSK 16 | 147 Minuten | Regie: Paul Thomas Anderson

»I wanna fuck. It's my fucking big dick. Who wants to fuck?«

Wer über ›Boogie Nights‹ lachen kann und es schafft, ihn ganz amüsiert zu Ende zu sehen, bekommt von mir schon eine geballte Ladung Respekt. Dass Paul Thomas Anderson hier ein ganz verurteilsfreies, enthemmtes Zeit- und Milieubild über die Pornoindustrie abgibt, samt kotzbunter 70er-Jahre-Farbstimmung und supercoolen, lockeren Menschen, darf man im Freiraum des Geschmacks stehen lassen. Und wenn die Welt das braucht: Hier ist er, ein auf ›krass, Porno ist ja total normal und eigentlich doch total verrückt!‹ gedrillter Fickfilm über Fickfilme für Leute, die gerne über gigantische Penisse schmunzeln und die Geschichte eines Pornokönigs faszinierend und dann doch irgendwie cool, geil und lächerlich genug finden, um sich über sie amüsieren zu können. Aber wenn Anderson sowas macht, ist das ja eh Kunst, und vielleicht sollte ich erst mal geschlechtsreif werden.



Freitag, 23. November 2012

Lynne Ramsays Verfilmung zu ›We Need to Talk About Kevin‹ und das Seelenleben einer gefallenen Mutter.


We Need to Talk About Kevin
Drama | Großbritannien, USA 2011 | FSK 16 | 110 Minuten | Regie: Lynne Ramsay

Die Wahrnehmung einer Mutter
Dass wir den Film nahezu durchgängig in Tilda Swintons Augen erleben, ist kein Zufall. Bereits durch die Sichtweise durch die von Tilda Swinton gespielte Mutter wird eins deutlich gemacht: Nicht der Sohn ist psychologisch ›krank‹, sondern die Mutter. Sie hat eine ›gestörte‹ Wahrnehmung, denn den Sohn als böse abzustempeln wäre an dieser Stelle zu einfach. Ähnlich wie in ›Take Shelter – Ein Sturm zieht auf‹ befindet sich der Hauptcharakter in einer Art (vorsichtig ausgedrückt) ›Psychose‹; das Leben ist nur noch das, was und wie wir es wahrnehmen.
›We Need to Talk About Kevin‹ ist das Portrait einer Mutter, die der Verantwortung der Mutterrolle ungewollt entgegengetreten ist und nun trotz aller Mühe an ihrer Pflicht zerbrochen ist. Wir begleiten die Protagonistin in Erinnerungen an ihren Sohn, den sie eigentlich nie vollen Herzens haben wollte – wir sehen ihre Blicke, als sie erstmals das Baby voller Antipathie in den Händen hält. Bereits hier, doch vermutlich noch früher, sollte eins sehr erkennbar werden: Als sie mit dickem Babybauch zur Gymnastik geht, sitzt sie unzufrieden und voller Abneigung ihrem Kind gegenüber unglücklich allein. Vielleicht ist dies die Schlüsselszene: Sie will dieses Kind nicht, ihre Abneigung findet bereits im Mutterleib statt. Und als sie wenig später das Kind zur Welt bringt und es betrübt im Krankenhausbett in den Armen hält, wie es eine Mutter ›normalerweise‹ erleichtert tut, wird uns klar: Die Abneigung hat sich bereits im Mutterleib in gewisser Weise ›übertragen‹. Das Kind kam mit der Abneigung zur Welt. Das Kinoposter zeigt bereits symbolisch ein Ultraschallbild eines Babys, das im Mutterleib liegt, Teufelshörner trägt und einen Teufelsschwanz besitzt. Und könnte ein Kind, das ohne Liebe im Mutterleib heranwächst und schließlich ausgetragen wird und sogar lieblos auf der Welt in Empfang genommen wird, nicht in etwa einem solchen ›Teufel‹, einem Menschen, der keine Liebe kennt und versteht, gleichen? Die Grundlagen für eine solche Entwicklung, die Kevin durchzumachen scheint, sind bereits gegeben, wenn wir den Film auch viel mehr als symbolische Auseinandersetzung eines Menschenlebens sehen sollten, denn für eine sachliche Lösung des Films strotzt er viel zu sehr vor Verborgenheit, Symbolik und geheimen, lakonischen Fragestellungen.
So irrational wie die Erzählstruktur ist, so sollten wir auch die Handlung beurteilen: Die Handlungen und das Verhalten ihres Sohnes sind nur noch Gedanken der Mutter, sie haben real in dieser Boshaftigkeit vermutlich nie stattgefunden. Dennoch nimmt sie es so wahr. Es fällt der Protagonistin mit der Zeit immer schwieriger, mit diesem Kind umzugehen. Sie assoziiert all das Negative mit ihrem Sohn, sodass sie nichts als Boshaftigkeit in ihm zu sehen scheint. Und auf Abneigung, die die Mutter ihrem Kind zeigt, weil sie nur seine Boshaftigkeit sieht, folgt Boshaftigkeit seinerseits. Quasi ein Teufelskreislauf einer Erziehung. Und aus diesem resultiert letztendlich die Eskalation der Handlung: Das Attentat.

Massenmord als Eskalation
Das Attentat ist ganz bewusst eher weniger wie ein klassischer Amoklauf geschildert, wie wir ihn aus Medien und Gesellschaft kennen. Wir sollten die Tat nicht als verarbeitende Aufarbeitung eines Amoklaufes sehen, in der wir nach Ansätzen zu Analysen und Ursachen suchen sollten, selbst wenn sie dazu noch so sehr einlädt. Denn darauf gibt es – wie ich es bereits feststellen musste – einfach keine Lösung, und dies liegt auch nicht in der Beabsichtigung des Films. Es ist – so böse es sich anhört – das Mittel zum Zweck, das als Bild dafür dient, die Eskalation der überforderten Mutter darzustellen: Sie ist an ihren Verantwortungen gebrochen.
Leute, die meinen, ›We Need to Talk About Kevin‹ ginge ganz revolutionär mit dem Thema Amoklauf um, liegen vielleicht genauso falsch wie die Leute, die meinen, der Film habe rein gar nichts auszusagen. Einer der besten Filme des Jahres. Und sicherlich einer, der einen nicht so schnell loslassen wird.



Mittwoch, 21. November 2012

Roman Polanskis geheimes Meisterwerk ‚Bitter Moon‘ entblößt fast spöttisch die Liebe.

Bitter Moon
Schwarze Komödie | Frankreich, Großbritannien 1982 | FSK 16 | 138 Minuten | Regie: Roman Polański

Böse enthüllt Roman Polański die Liebe und Beziehung eines „gewöhnlichen“ Paares auf spannend spöttische Klasse, die weder unfreiwillig komisch ist, noch sonderlich auf ernste Weise Abgründe verarbeiten möchte. ‚Bitter Moon‘ outet sie, belächelt diese und wir lachen darüber, gerade weil diese Darstellung der Liebe für uns als Außenstehenden so albern, lächerlich und bescheuert ausschaut. Von Kritik und Publikum völlig unterschätztes kleines Meisterwerk, das nur oberflächlich wie Quark ausschaut, innerlich aber Köpfchen trägt.


Sonntag, 18. November 2012

Sam Mendes führt Bond in seine Tiefen: ‚James Bond 007: Skyfall‘.


Skyfall
Actionthriller | Vereinigtes Königreich, USA 2012 | FSK 12 | 143 Minuten | Regie: Sam Mendes

„Wo zum Teufel waren Sie?“ – „Ich hab‘ den Tod genossen.“

Was macht den neuen Bond so erstklassig? Sam Mendes gibt seinem ‚Skyfall‘ vor allem Charakter. Mal von dem rasanten Opening, dem Megaintro und Adeles Hymne sowie der Megabesetzung um Naomi Harris, der geheimen Heldin aus ‚28 Days Later‘, Judi Dench und vor allem Javier Bardem abgesehen; ‚Skyfall‘ umgibt sich in für Actionverhältnisse brillante Tiefen seiner selbst. 007 ist gefallen – und das im wahrsten Sinne und auf gleichem Wege allegorisch –, er beginnt zu trinken und ist, wie es auf den ersten Blick noch ausschaut, am Ende seiner Kräfte und somit auch seiner Karriere. Doch er wiederaufersteht, und zwar so alt, zerbrechlich und ja, fast schon vergreist. Mendes charakterisiert seine Hauptfigur wie nie zuvor und gibt Bond einen spürbar seelischen Hintergrund seiner Storyline. Und im selben Maße macht ‚Skyfall’ an dieser Stelle eins ganz richtig: Er strahlt und sympathisiert mit Selbstironie auf sein eigenes Altern – ganz entgegengesetzt dem zeitgenössischen Zeitgeist „aus alt mach neu“. Wenn der alte Aston Martin aus der Garage geholt wird, der alte Score im Hintergrund eingespielt wird und die bezaubernde M für zu alt für ihren Job abgestempelt wird, heißt das nicht nur „50 Jahre Bond“, nein, Sam Mendes geht hier einen attraktiven Schritt weiter in Richtung Actionkino mit neuem Maßstab, Ambition und zeitgenössischer Denkart.

Wer es auch genau wie ich – mehr oder weniger berechtigt – eher nicht erwartet hatte: In ‚Skyfall‘ stecken anmutige symbolische Ansätze: Wenn Bond und sein neuer Assistent Q im Museum erstmals vor einem Gemälde aufeinandertreffen, welches einen alten Dampfer abbildet, der von neuen Booten abgeschleppt wird, erkennen wir eigentlich nichts anderes als das, was gerade mit Bond passiert – der gefallene Actionheld altert, er ist nicht mehr das Beste und Neuste und er benötigt nun Unterstützung. Ebenso die Symbolik im Intro, in dem der komplette Film in Sinnbildern eigentlich schon erzählt wird – wie Bond zum Beispiel gleich am Anfang von einer fremden Hand aus dem Wasser gefischt wird, in welchem er zu ertrinken droht, ist doch genau das, was später vor dem furiosen Finale stattfindet. Die Kreativität und sein Einfallsreichtum, welches Mendes in seinen Bond einbringt, lässt ‚Skyfall‘ in wirklich intelligentem Licht stehen.

‚Skyfall‘ verfügt über phantastische Anspielungen auf die Popkultur: Gleich zwei Mal hängt Bond in schwindelnder Höhe am Abgrund, einmal fällt er sogar – eine Anspielung auf Hitchcocks ‚Vertigo – Aus dem Reich der Toten‘. Oder die Szene, in der Bond seinen Gegner Patrice vor einer bunt erleuchteten Leinwand bekämpft und wir nur die Schatten der beiden sehen lässt an Tarantinos ‚Kill Bill: Volume 1‘ erinnern, als Uma Thurman einst gegen die Verrückten 88 kämpfte, als das Licht ausgeschaltet wurde und wir ebenfalls nur ihre kämpfenden Schatten beobachten konnten. Wenig später hält Bond den selben Feind von einem in der Dunkelheit grell und farbig beleuchteten Wolkenkratzer an der Hand über den tiefen Abgrund – das Ganze erinnert unübersehbar an ‚Blade Runner‘, wie sich Harrison Ford in einer Szene über dem Abgrund hielt. Und als das brennende alte Haus mitten in der Einöde im Moor zum Schluss in Flammen aufging und Javier Bardem schadenfroh vor den Flammen jagt, fiel mir nur ein Bild in den Kopf: Die Todesser schleichen mit niederträchtigen Blicken vor dem brennenden, zerstörten Haus der Weasleys aus ‚Harry Potter und der Halbblutprinz‘.

Nach der letzten Bond Niederlage ‚Quantum Trost‘ wieder ein richtig beeindruckender 007. So muss „Männerkino“ aussehen und ich bin eben auch nur ein Junge. Da zücke ich gerne die acht.

“Let the sky fall”.




Sonntag, 11. November 2012

Meisterregisseur Wong Kar-Wai, die Liebe in seinen Filmen und ihre Bedeutung.


„Ein Film ist für mich nie eine Antwort. Erst recht nicht, wenn es um die Liebe geht. Denn das ist immer eine große Frage.“

Was ich an Wong Kar Wai liebe, sind nicht unbedingt die Liebesfilme, sondern die Liebe in seinen Filmen. Die magische Poesie, die Melancholie, die Einsamkeit und das heikle Etwas des Verliebtseins.

Seine Bildgestaltung spielt hierbei nicht nur eine Rolle der Ästhetik. Die wilden Kamerafahrten durch Hongkongs menschenbefüllten Ecken, die flackernden Lichter des nächtlichen Straßenlebens und ihre Farben sind nicht nur Spielereien mit der Kamera und Schönheitseffekte. Sie bedeuten, wie viel Detail, Liebe und Schönheit in dem stecken kann, was wir sehen könnten. Doch vor allem eins: Sie spiegeln die Stimmung und die Atmosphäre der Geschichten wider, die uns Wong Kar-Wai auf ein Jedes neu erzählt.

„Die Zuschauer sollten sich wie die Passagiere eines Zuges fühlen: Sie reisen mit diesem Menschen [dem Protagonisten] und gehen mit ihm durch jede Periode seines Lebens, die gleichzeitig Szenarien einer Beziehung sind. Die meisten Zuschauer, die jemals in ihrem Leben geliebt haben, werden sich in einer der Episoden wiederfinden.“

Wahrscheinlich ist es das, was man an Wong Kar-Wai lieben wird: Die Nähe an seinen Figuren, die schlichtweg wahnsinnig ist. Die völlig unterschätzten Wiedergaben aus dem Off sind nicht nur Voice-over, sie sind Monologe und einfühlsame Erzählungen eines Ichs, das uns hiermit ganz persönlich in unser Herz direkt zu und in uns spricht. Wir bauen eine Beziehung zu ihm auf, wir folgen ihm in seine Gedanken, wir können uns in ihn fühlen, und das – so ausgelutscht das klingen mag – sei nicht nur daher gesagt.

Wenn es um Wong Kar-Wai geht, geht es auch immer um Liebe und die ganz großen Gefühle. Aber es ist nicht nur Gefühlsgedusel, wie es viele nennen mögen, oder Liebesgeschwafel. Es sind mit die ehrlichsten Dramen über, von und mitten in der Liebe, die ich je gesehen habe. Denn Liebe ist – wie wir es alle sicherlich irgendwie mal kennenlernen mussten – nicht immer schön, einfach und reine Erfüllung, sondern ein Weg. Sie birgt Geheimnisse und unzähligen Kummer. Besonders in seinem meiner Meinung nach Schlüsselwerk ‚Chungking Express‘ wird dies erkennbar: Wir sehen die gescheiterte Liebe und den Kummer danach, die Suche nach neuer Liebe und die Enttäuschung des Nichtfindens, die Sehnsucht nach ihr, die seltsamen Umwege und sogar das glückliche Widerfinden. Als einen der wichtigsten Punkte in Wong Kar-Wais Bedeutung steht für mich aber eins [langweilig, ich weiß, ich bin empfänglich dafür]: Das Alleinsein und die Einsamkeit. Diese wird auch in seinem darauf folgenden Werk ‚Fallen Angels‘ deutlich: Die Liebe ist sich in Gedanken nahe, doch findet nicht zu einander. Einer der bedeutendsten Momente in Wong Kar-Wais Schaffen stellt hierbei die Szene, in der die Protagonistin in ‚Fallen Angels‘ onaniert. Mit diesem Bild hätte die Einsamkeit nicht stärker dargestellt werden können.

Im Meisterwerk ‚Happy Together‘ zeigt er uns die immer mehr ins Aus scheiternde Beziehung zwischen zwei Männern. Sie wollen ihre Liebe retten, versuchen einen Traum zu leben und wandern nach Argentinien aus. Doch als die Liebe und somit der Traum endgültig bricht und zerplatzt, wird uns eins klar gemacht: Wir sind nicht für alle bestimmt. In ‚In the Mood for Love‘ finden zwei verzweifelte, vom Partner jeweils hintergangene Seelen zusammen und betrügen selbst. Verblüffend ist, dass immer, wenn die Musik (‚Yumeji's Theme‘) erklingt, die ganz großen Momente und Gefühle des Films passieren; die nachdenklichen Momente; wir sehen die beiden Protagonisten beim Einsamsein, die unglücklichen Gestiken, wie sie sich erstmals über den Weg laufen und ihnen selbst ihre Verlorenheit klar wird. Wong Kar-Wai sagt uns: Wir brauchen keine großen Worte, um uns unseren Gefühlen zu stellen. Vielmehr sind es unsere Blicke, körperliche Ausdrücke und der Zeitpunkt. Aus irgendeiner Form der unbewussten Rache und gemeinsamer Einsamkeit werden in ‚In the Mood for Love‘ wahre Gefühle. Die Liebe wird Zufall und gemeinsames Schicksal.

Um auf den Punkt zu kommen: Wong Kar-Wai offenbart uns, dass die Liebe leider nicht simpel ist. Sie ist ein komplexes Irgendwas aus Gefühlen, Schicksal und Bestimmung. Wir alle haben unsere Probleme mit ihr. Sie tut weh, und ist dennoch das vielleicht Wertvollste auf der Welt, weil sie uns am Träumen hält. Genau wie Wong Kar-Wais traumhaften Filme, gefilmt in traumhaften Bildern mit traumhaften Geschichten und vor traumhaften Kulissen. 








Dienstag, 6. November 2012

Lars von Triers ‚Breaking the Waves‘, weil die Liebe naiv ist.


Breaking the Waves
Drama | Norwegen, Frankreich, Schweden, Niederlande, Dänemark 1996 | FSK 12 | 159 Minuten | Regie: Lars von Trier

Und dann kam der Unfall und nun muss plötzlich Bess die Verantwortung übernehmen. Sie, die schwache, sympathische Seele, die eigentlich den Schutz braucht, muss plötzlich durchdacht und verantwortungsvoll handeln. Als sage man einem Kind, es soll ausziehen und ab sofort alleine für sich sorgen. Ist es nicht in etwas das, was wir alle schon irgendwann einmal gefühlt haben? Wir werden ins kalte Wasser geworfen und man sieht uns gnadenlos zu, wie wir hilflos umhertreiben und schließlich scheitern müssen – wir können die Wellen eben nicht brechen. Dann endet alles im Chaos und Verderben. Wir können nicht alles, wir alle sind in irgendeiner Weise schwach, genau wie Bess. Jene anderen sind Jan, die uns fordern. Selbst wenn er es nicht böse meint. 

Das Gottesbild

Ganz nebenbei finde ich den bitteren Abgesang auf Gott und den Glauben faszinierend. Bess betet, dass Jan endlich zurück kommt und sie liebt. Gott erhört sie und schickt ihn ihr in Form eines Unfalls zurück – nach dem Leitmotiv „Gott baut nur Mist“, er kann auch nicht mehr als wir. Jedes Mal, wenn Bess betet, findet sie keinerlei Erlösung oder Befreiung, wie es eigentlich sein sollte, sondern bekommt noch mehr Druck und Drang. Lars von Trier beschreibt hier ein Bild von Gott, das eigentlich nur zur Entschuldigung, zur Selbstbestrafung oder Flucht vor Verantwortung dient. Der Glaube ist weder sonderlich „schlecht“, noch ist er „gut“, sondern eigentlich nur noch ein Mittel zum Zweck – wie Bess es einmal sagt: „Mein Talent ist mein Glauben.“ Ebenfalls im Epilog ist die Kirche nur noch ein Platz der Oberflächlichkeit und Gehässigkeit. 

Die Frau als Herzensangelegenheit

Frauenfeindlichkeit aufgrund des Bildes des naiven Mädchens darf man unbestritten ablehnen, denn Lars von Trier erregt hier Mitgefühl für die leidende, elende Bess. Er verurteilt sie nicht für ihre Einfältigkeit und die „Sünden“, die sie begeht. Wir begreifen und verstehen sie. Wir lieben sie. Ganz im Gegensatz zur Gesellschaft, die sie nur noch auf die Oberfläche reduziert. Sogar ihre Mutter schämt sich, als Bess weinend vor ihrer Tür steht, sie Bess aber nicht ins Haus lässt. Hieraus lässt sich eine Bedeutung des Films erahnen: Wenn es ernst wird, halten sich alle, die anfangs noch auf Moral und „du musst stark sein“ machten, schlicht heraus. Denn mit Unmoral wollen sie nichts zu tun haben. Dass sie dabei selbst zu einer solchen werden, scheint ihnen egal, was sie sogar naiver und dümmer macht als unsere liebenswerte Protagonistin. Denn sie hinterfragen nicht einmal. Sie werten nur. Und das ist falsch. 

Ein Meisterwerk des Liebesfilms“

Doch ich denke, ‚Breaking the Waves‘ müssen wir nicht im analytischen Licht erstarren lassen. Denn wenn es um Lars von Trier geht, geht es auch immer um eins: Um Gefühle, um Stimmungen und Innerlichkeit, die er hier auf wirklich sensible und dennoch unfassbar herzzerreißende Art vermittelt. Er wühlt auf und bringt wie offensichtlich zum gefühlsverwirrten Nachdenken. ‚Breaking the Waves‘ mag einer der größten Filme über Liebe und ihre Grenzen sein, weil er so viel hinterfragt, worauf wir keine eindeutigen Antworten finden werden. Ob das, was zwischen Bess und Jan passiert, gut oder böse ist, spielt keine Rolle, denn es ist Liebe, wie sie jeder der beiden auf seine Art und Weise empfindet. Und wenn wir mal in uns gehen, ist Liebe nicht immer irgendwie naiv? 




Sonntag, 4. November 2012

‚Vielleicht lieber morgen‘ und das komplizierte Erwachsenwerden: Logan Lerman und Emma Watson im sensibelsten Film des Jahres.

The Perks of Being a Wallflower
Drama | USA 2012 | FSK 12 | 103 Minuten | Regie: Stephen Chbosky


Man kann vieles über diesen Film sagen, oder einfach: er ist wahnsinnig human und unheimlich wertvoll. Wie einfühlsam und nahe er an sein Thema ums Außenseitersein, Homosexualität, Missbrauch und Trauma herangeht, ist bahnbrechend. ‚Vielleicht lieber morgen‘ zeigt so ehrlich und authentisch in seinen feinfühligen Figuren den komplizierten Weg des Erwachsenenwerdens. Ein so wunderbarer Film, bei dem die Augen nicht trocken bleiben können, so persönlich und nahe an uns gerichtet, so deprimierend und treffend in seinen tiefen Phasen der Intimität des Menschseins. Ein Film mit genauso viel Innigkeit und Seele wie Realität und unserem und meinem Leben, den man mit dem Herz sehen wird. Und so sagt Emma Watson zu mir: „Lass uns zusammen Psychos sein.“



Freitag, 2. November 2012

Schweigen mit Ingmar Bergmans ‚Das Schweigen‘.


Tystnaden
Drama | Schweden 1963 | FSK 16 | 95 Minuten | Regie Ingmar Bergman

Allein und fernab von der Gesellschaft, in einer oberflächlich wunderschönen, doch fremden und selbst kommunikativ verständnislosen Umgebung erzählt Ingmar Bergman sein schweigendes Drama. Während die Welt dort draußen zum Krieg aufrüstet, befinden sich die drei Protagonisten wie abgeschottet in ihrer sicheren, pompösen Unterbringung. Und sie schweigen. Man versteht sich nicht. Weder sprachlich noch menschlich. Während die eine sich bettlägerig in ihrem Zimmer betrinkt, Zigaretten raucht und mit dem Pagen spielt, begibt die andere sich unter Menschen und der Junge unter Liliputaner. Alles führt irgendwo hin, aber jeder an sich vorbei. Innerhalb der Familie entsteht ein Bruch, jeder schweigt unter sich auf seine Art. Das Gefühl vom Beisammensein ist verloren, unter den Protagonistinnen endet die Reise schließlich in Hass. Sie alle scheinen irgendwie zu wissen, was sie tun, aber nicht – ganz genau wie der Zuschauer – wofür. 

Es passiert ganz viel und es ist ganz viel. Aber was genau, das liegt vielleicht gar nicht in unserer Gewalt. Ich hasse sinnlose Kommentare wie dieser, die nicht wissen, was sie zu sagen haben. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle meinen Freund fkfilmkritik zitieren: „Ich feiere dich, Bergman.“ Und zwar genau für diese Ratlosigkeit.




Donnerstag, 1. November 2012

Kommentarlose Bewertungen #4: Oktober 2012.


Das war der Oktober. Hier sind meine kommentarlosen Bewertungen des zehnten Monats des Jahres 2012, von der Vervollständigung der Tim Burton-Filme über einige Film noirs bis zu konventionellem TV-Kino ist alles dabei.



Philadelphia | Drama | USA 1993 | FSK 12 | 125 Minuten | Regie: Jonathan Demme [7/10]

Aguirre, der Zorn Gottes | Abenteuer | Deutschland, Mexiko 1972 | FSK 12 | 100 Minuten | Regie: Werner Herzog [7/10]

Ring | Horror | USA 2002 | FSK 16 | 115 Minuten | Regie: Gore Verbinski [6/10]

Cube | Horror | Kanada 1997 | FSK 16 | 90 Minuten | Regie: Vincenzo Natali [3.5/10]

Cabin Fever | Horror | USA 2002 | FSK 18 | 92 Minuten | Regie: Eli Roth [2/10]

Die Legende von Aang | Fantasy | USA 2010 | FSK 6 | 103 Minuten | Regie: M. Night Shyamalan [2/10]

No Country for Old Men | Western | USA 2007 | FSK 16 | 122 Minuten | Regie: Ethan & Joel Coen [5/10]

Night on Earth | Komödie | Japan, Frankreich, USA, Großbritannien, Deutschland 1991 | FSK 16 | 129 Minuten | Regie: Jim Jarmusch [4/10]

Burn After Reading – Wer verbrennt sich hier die Finger? | Komödie | USA 2008 | FSK 12 | 96 Minuten | Regie: Ethan & Joel Coen [3/10]

Wie durch ein Wunder | Drama | USA, Kanada 2010 | FSK 12 | 99 Minuten | Regie: Burr Steers [3.5/10]

Drachenzähmen leicht gemacht | Animationsfilm | USA 2010 | FSK 12 | 98 Minuten | Regie: Dean Deblois [2/10]

Sin Nombre | Drama | Mexiko, USA 2009 | FSK 16 | 95 Minuten | Regie: Cary Fugunaga [8.5/10]

Dark Shadows | Fantasy | USA 2012 | FSK 12 | 113 Minuten | Regie: Tim Burton [7/10]

Mars Attacks! | Science-Fiction-Komödie | USA 1996 | FSK 12 | 102 Minuten | Regie: Tim Burton [6.5/10]

Beetlejuice | Horrorkomödie | USA 1988 | FSK 12 | 92 Minuten | Regie: Tim Burton [7/10]

Ed Wood | Biopic | USA 1994 | FSK 12 | 126 Minuten | Regie: Tim Burton [9/10]

Frankenweenie | Fantasy | USA 1984 | 29 Minuten | Regie: Tim Burton [8/10]

Alice im Wunderland | Fantasy | USA 2010 | FSK 12 | 108 Minuten | Regie: Tim Burton [4.5/10]

Ein einsamer Ort | Kriminalfilm | USA 1950 | FSK 16 | 94 Minuten | Regie: Nicholas Ray [9/10]

Die Spur des Falken | Kriminalfilm | USA 1941 | FSK 16 | 100 Minuten | Regie: John Huston [8/10]

Vincent | Animationsfilm | USA 1982 | 6 Minuten | Regie: Tim Burton [10/10]

Die Unzertrennlichen | Thriller | Kanada, USA 1988 | FSK 18 | 115 Minuten | Regie: David Cronenberg [5.0/10]

Toy Story 3 | Animationsfilm | USA 2010 | FSK 0 | 103 Minuten | Regie: Lee Unkrich [6.0/10]

Summer Days With Coo | Animationsfilm | Japan 2007 | FSK 12 | 138 Minuten | Regie: Keiichi Hara [6.0/10]

Sein Mädchen für besondere Fälle | Komödie | USA 1940 | FSK 12 | 90 Minuten | Regie: Howard Hawks [8.5/10]

Berlin – Alexanderplatz | Drama | Deutschland 1931 | FSK 12 | 90 Minuten | Regie: Piel Jutzi [7/10]