Dienstag, 6. November 2012

Lars von Triers ‚Breaking the Waves‘, weil die Liebe naiv ist.


Breaking the Waves
Drama | Norwegen, Frankreich, Schweden, Niederlande, Dänemark 1996 | FSK 12 | 159 Minuten | Regie: Lars von Trier

Und dann kam der Unfall und nun muss plötzlich Bess die Verantwortung übernehmen. Sie, die schwache, sympathische Seele, die eigentlich den Schutz braucht, muss plötzlich durchdacht und verantwortungsvoll handeln. Als sage man einem Kind, es soll ausziehen und ab sofort alleine für sich sorgen. Ist es nicht in etwas das, was wir alle schon irgendwann einmal gefühlt haben? Wir werden ins kalte Wasser geworfen und man sieht uns gnadenlos zu, wie wir hilflos umhertreiben und schließlich scheitern müssen – wir können die Wellen eben nicht brechen. Dann endet alles im Chaos und Verderben. Wir können nicht alles, wir alle sind in irgendeiner Weise schwach, genau wie Bess. Jene anderen sind Jan, die uns fordern. Selbst wenn er es nicht böse meint. 

Das Gottesbild

Ganz nebenbei finde ich den bitteren Abgesang auf Gott und den Glauben faszinierend. Bess betet, dass Jan endlich zurück kommt und sie liebt. Gott erhört sie und schickt ihn ihr in Form eines Unfalls zurück – nach dem Leitmotiv „Gott baut nur Mist“, er kann auch nicht mehr als wir. Jedes Mal, wenn Bess betet, findet sie keinerlei Erlösung oder Befreiung, wie es eigentlich sein sollte, sondern bekommt noch mehr Druck und Drang. Lars von Trier beschreibt hier ein Bild von Gott, das eigentlich nur zur Entschuldigung, zur Selbstbestrafung oder Flucht vor Verantwortung dient. Der Glaube ist weder sonderlich „schlecht“, noch ist er „gut“, sondern eigentlich nur noch ein Mittel zum Zweck – wie Bess es einmal sagt: „Mein Talent ist mein Glauben.“ Ebenfalls im Epilog ist die Kirche nur noch ein Platz der Oberflächlichkeit und Gehässigkeit. 

Die Frau als Herzensangelegenheit

Frauenfeindlichkeit aufgrund des Bildes des naiven Mädchens darf man unbestritten ablehnen, denn Lars von Trier erregt hier Mitgefühl für die leidende, elende Bess. Er verurteilt sie nicht für ihre Einfältigkeit und die „Sünden“, die sie begeht. Wir begreifen und verstehen sie. Wir lieben sie. Ganz im Gegensatz zur Gesellschaft, die sie nur noch auf die Oberfläche reduziert. Sogar ihre Mutter schämt sich, als Bess weinend vor ihrer Tür steht, sie Bess aber nicht ins Haus lässt. Hieraus lässt sich eine Bedeutung des Films erahnen: Wenn es ernst wird, halten sich alle, die anfangs noch auf Moral und „du musst stark sein“ machten, schlicht heraus. Denn mit Unmoral wollen sie nichts zu tun haben. Dass sie dabei selbst zu einer solchen werden, scheint ihnen egal, was sie sogar naiver und dümmer macht als unsere liebenswerte Protagonistin. Denn sie hinterfragen nicht einmal. Sie werten nur. Und das ist falsch. 

Ein Meisterwerk des Liebesfilms“

Doch ich denke, ‚Breaking the Waves‘ müssen wir nicht im analytischen Licht erstarren lassen. Denn wenn es um Lars von Trier geht, geht es auch immer um eins: Um Gefühle, um Stimmungen und Innerlichkeit, die er hier auf wirklich sensible und dennoch unfassbar herzzerreißende Art vermittelt. Er wühlt auf und bringt wie offensichtlich zum gefühlsverwirrten Nachdenken. ‚Breaking the Waves‘ mag einer der größten Filme über Liebe und ihre Grenzen sein, weil er so viel hinterfragt, worauf wir keine eindeutigen Antworten finden werden. Ob das, was zwischen Bess und Jan passiert, gut oder böse ist, spielt keine Rolle, denn es ist Liebe, wie sie jeder der beiden auf seine Art und Weise empfindet. Und wenn wir mal in uns gehen, ist Liebe nicht immer irgendwie naiv? 




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