Samstag, 16. Juni 2012

'Dogville' - Lars von Triers Vorführung der Dorfmoral.

Dogville
Sozialdrama | Dänemark / Schweden / Norwegen / Frankreich / Niederlande / Finnland | FSK 12 | 177 Minuten | Regie: Lars von Trier

'Dogville' ist für mich nicht Lars von Triers ergreifendster, aber mit Sicherheit sein urteilssicherster sowie in gewisser Weise progressivster Film. „Hundedorf“ oder „Dorf der Hunde“, sein von vielen ebenso gelobtes wie verworfenes Werk, zeichnet aber neben seiner „Neuerfindung des Kinos“ ganz besonders eins: den dünnen Pfad zwischen Vorsicht und Ungerechtigkeit, Moral und Versuchung sowie Unverschämtheit. Ganz ähnlich, aber weitaus weniger humoristisch, wie Dürrenmatt es einst schriftlich tat, lässt er eine Art „Besuch der alten Dame“ spielen. 

Das Ausnützen in allerlei Formen 

Hier strandet Grace. Die Einwohner von Dogville missbrauchen sie. Und warum? Weil sie es können. Grace ist durch ihre Not und Hilfsbedürftigkeit bestechlich geworden. Sie benötigt Hilfe, sie ist hilflos. Einerseits geben Dogvilles Einwohner ihr genau diese, nämlich ein Versteck, aber sie gehen viel weiter und nutzen Graces (vorgegebene) Verlorenheit für sich aus. Und Grace tut zunächst nichts anderes, als sich dem hinzugeben, es über sich hingehen zu lassen. „Wie ein Patient, der sich hilflos seiner Krankheit ergibt“, wie der wunderbare Erzähler John Hurt, es in Worte fasst. Und auch wenn [Achtung Spoiler] alles nur ein Experiment in Anführungsstrichen gewesen sein mag, wie es im finalen Dialog mit dem Vater klar wird, sie viel mehr gespielt und getestet hat, weil sie Dogvilles Einwohner auf einem weniger intellektuellen Standpunkt gesehen hat als sich selbst – Stichwort: Graces Arroganz –, wird doch das Laster und die Schuld der Taten nicht geringer, sondern erhält noch eine gewaltige Wende und einen Tritt ins Gesicht des erwischten Betrachters. [Spoiler Ende]

Der Verris auf den amerikanischen Traum
 
Neben all den Sünden eines Dorfidylls sowie allein damit, dass sich Grace letzten Endes [Achtung Spoiler] mehr oder weniger für die Gangsterbande entscheidet, die doch die ganze Zeit der Grund dafür war, sich weiterhin im Dorf versteckt zu halten, [Spoiler Ende] zeigt Lars von Trier, dass die „Harmlosen“, das arme, rustikale, hinterwäldlerische Dorf, dem Bösen, den Gangstern, niederer kommt. „Die Welt ist schlecht und die Menschen noch viel schlechter.“ Ja, weil es immer öfters der Fall ist. Jedoch deutet Dogville gleichermaßen eine unverzagte Kritik auf den großen amerikanischen Traum – wie Popqueen Madonna es im selben Jahr in ihrem Song „American Life“ sang: „I’m just living out the American Dream and I just realized that nothing is what it seems” – „Ich lebe bloß den amerikanischen Traum und ich habe gerade realisiert, dass nichts so ist, wie es scheint“. 

Ein Film als Theater 
ein Film der Vollendung

Aber dennoch: Wie schön ist es, wenn die zurückhaltende Musik aus dem Nirgendwo erklingt; wenn der Erzähler neben dem nahezu rührenden Geschichtenvorlesens der Ironie verfällt („Dogville mag ja ein abgelegenes Dorf sein, gastfreundlich war es dennoch“, scherzt er, als der Film dem Ende zuläuft und bereits längst das wahre Gesicht des Provinzdörfchens enthüllt wurde); das neunte Kapitel frotzelnd verrät, dass alles alldieweil doch eigentlich nur auf den einen Augenblick zulief („Neuntes Kapitel, in welchem Dogville den lang erwarteten Besuch erhält […]“); oder die vollendete Schauspielschar – Paul Bettany und Nicole Kidman in den Hauptrollen allen vorweg – ihren Rollen Leben schenken. 
„[…] Vielleicht treibt er damit eine Menge Leute aus dem Kino. Aber diejenigen, die bleiben, können ein kleines Wunder erleben.“ – epd Film. 





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