Sonntag, 3. Februar 2013

Mein Seelenverwandter Lars von Trier und das Gefühl, von ihm verstanden zu werden.


Ich habe mich eigentlich viel zu lange davor gedrückt, über Lars von Trier zu schreiben. Vielleicht, weil »Ich liebe dich« zu sagen noch immer schwieriger ist als alles andere, und diese Art von Seelenverwandten mit Worten zu beschreiben nicht gerade leicht fällt, ohne an sich selbst zu geraten. Lars ist – und da mag mir sicherlich niemand widersprechen – ein schwieriger Mann. Seine Hauptdarstellerin Björk sagte einmal nach der Zusammenarbeit für sein Meisterwerk von Musical »Dancer in the Dark«, dass sie niemals wieder mit ihm arbeiten möchte. Kirsten Dunst sagte zu der Arbeit zu »Melancholia«, dass sie den Film (nur) für Lars machte. Und ganz viele Menschen meinen ja, Lars sei frauenfeindlich, krank und ein prätentiöser Regisseur, der in seiner Kunstauffassung seiner Filme selbstverliebt ertrinkt. Ich behaupte, Lars von Trier ist der wahrscheinlich interessanteste Filmemacher Europas seit ich auf der Welt bin.


Wenn ich Lars von Trier sehe, mag das sicherlich stimmungsabhängig sein – wer möchte sich seine Filme schon bei Heiterkeit antun? Wenn ich mich larsvontrierig fühle – und das tat ich in letzter Zeit sehr –, dann sehne ich mich nach emotionaler Zertrümmerung (vielleicht sogar meiner selbst). Und wie wir wissen, treibt er dies auf die Extreme. Das, was seine Filme ausmacht, ist gewiss die unübersehbare Hemmungslosigkeit vor emotionalen Grenzen in ihnen. Oder selbst, wenn er auf Hochglanz und Bildschönheit zu seiner Dogma-95-Blütezeit in »Idioten« oder »Breaking the Waves« verzichtet, er in »Dogville« sogar nur eine schwarze oder weiße Leinwand als Kulisse benötigt, sind seine Filme vollgepackt von atmosphärischer Perfektion über das vielleicht doch nicht ganz so einfache Leben auf dieser Erde. Wie es Jenny in ihrem Kommentar bereits erfasste, fasst es Justine aus »Melancholia« entschieden in Worte: »Die Welt ist schlecht. Wir brauchen nicht um sie zu trauern.« Vielleicht ist genau das der rote Faden in Lars von Triers Filmen.

Mehr als eine nihilistische Lebenswelt 
In seinem Frühwerk »The Element of Crime« nimmt er uns mit auf eine pessimistische Reise durch eine fiktive trostlose Welt der Kriminalität. In »Europa« zeigt er uns eine ganz reelle, düstere Reise durch unsere europäische Historik: Deutschland zur Nachkriegszeit. Mit »Breaking the Waves« und »Dancer in the Dark« fühlen wir uns in zwei Frauen und werden schmerzend fallengelassen. In »Dogville« zeigt er uns das – vielleicht doch nicht ganz so fiktive – Dorfidyll und lässt es abgründig stürzen, stellt uns vor Moral und Werte und Amerika. Ähnlich wie in »Manderlay«, doch auch hier gehen wir einen Schritt weiter zur Realität und Historik: Die Sklaventreiberei. Lars von Triers Gesamtwerk zeigt uns deutlich das, was Justine sagt; aber dennoch viel mehr: Die Welt ist schlecht, und dennoch platziert von Trier immer etwas, für das es wert ist zu leben. Was das ist, mag der Rezipient in jedem seiner Filmen selbst finden. Ähnlich wie der Blick auf seine Filme: Können wir uns mit seinem Pessimismus anfreunden oder nicht? Eine Frage des subjektiven Weltbilds. Lars von Trier macht uns in so gut wie jedem seiner Filme seinen Standpunkt deutlich, erschafft Sympathien, Identifikation und Abneigung. Wer sich darauf schwer einlassen kann, hat eigentlich schon verloren, da gerade das den Reiz seiner Filme ausmacht. Wie epd-Film mal über »Dogville« schrieb, so können wir eigentlich alles, was aus Lars von Triers Köpfchen und Händchen stammt, beurteilen: »Vielleicht treibt er damit eine Menge Leute aus dem Kino. Aber diejenigen, die bleiben, können ein kleines Wunder erleben.«

Der Pessimist und das Licht
Wie wir schon lange wissen, zeigt uns Lars mit seinen leidenden Frauenfiguren keine Opferrollen im klassischen Sinne, sondern zeichnet uns Identifikationsfiguren, mit denen wir uns identifizieren und in die Seele der Figur geführt werden, ihr Innerstes fühlen und nicht selten schonungslos leiden – denken wir an Selma aus »Dancer in the Dark« oder die beiden Frauen aus »Melancholia«. Wir verspüren den Schmerz, den das Leben uns bereiten kann, wie wir es eigentlich in keinen anderen mir bekannten Filmen fühlen können.
Doch mit all dem Pessimismus nicht genug. Zu sagen, von Triers Filme hätten kein Herz und strotzen vor Nihilismus, wäre falsch. Genau wie wir fallen gelassen werden, führt uns Lars von Trier ins Herz des Films – wir schließen Figuren in unser Herz und erleben nicht nur ihren Leidensweg, sondern ebenso die großen Momente des Glücks und der Hoffnung. Die dann meistens doch nicht allzu lange halten.

Das Leiden mit ihm und der Trost in uns
Doch Lars von Trier geht besonders später noch weiter: Er identifiziert sich selbst mit seinen Figuren und kommuniziert über sie mit uns – denken wir an die Frau aus »Antichrist« oder Justine aus »Melancholia«. Wie wir wissen, litt Lars von Trier selbst lange an Depressionen und zeigt uns nicht nur eine beeindruckende Art von Seelenblick seiner selbst, sondern noch viel tiefgehendere Dramen über die menschliche Verzweiflung und die Erlösung vom Leben, die er auf so vielschichtige Weise in seinen Filmen repräsentiert. Und den Lars von Trier in uns damit ein Stück erreicht und tröstet.
Was Lars von Trier ausmacht, ist nicht sein Pessimismus. Grausige Dramen gibt es wie Sand am Meer. Es ist das bittere Gefühl, das seine Filme im Zuschauer ganz subjektiv auslösen. Die Unberechenbarkeit, die seine Dramen auf niederschlagende Gefühlsbasis in uns erzeugen. Seine herausragenden Ideen und Innovationen sind dabei das, was ihn zu einem Künstler macht. Das, was er mit uns macht, ist das, was ihn zum zweifellosen Genie macht. 










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