Mittwoch, 5. Juni 2013

Billy Wilder – Mein Kerlchen mit dem Herzen am rechten Fleck.


»A director must be a policeman, a midwife, a psychoanalyst, a sycophant and a bastard.«

Billy Wilders Filme sind große Klassiker, die in einen überwältigenden Zustand der Nostalgie führen. Sie treffen ins Herz und zaubern in ihre Welt. Doch was macht Billy Wilder so unwiderstehlich? Na ja, er liebt eben seine Figuren und daher lieben wir ihn und seine Sympathie für Jedermann. Er liebt die hübschen Blondinen, die gerade oben neu eingezogen sind, oder den Frauenchor mit zwei als Frauen verkleideten Kerlchen. Er liebt den Vater, der alleine im heißen Sommer in New York zurückbleibt und prompt der scharfen Nachbarin verfällt, oder den einsamen Kerl, der sein Apartment an die Arbeitskollegen vermietet, um endlich befördert zu werden. Er liebt die süße Prostituierte Irma, die Musik studierte und eigentlich Konzertpianistin werden wollte, doch nun zu diesem Gewerbe fand. Und er liebt sogar den armen jungen Mann, der sich auf dem Lebensweg verlaufen hat und nicht mehr vom Alkohol wegkommt. Oder die alternde Diva, dessen Zeit abgelaufen ist und die nunmehr ein ebenso einsames wie suizidales Dasein pflegt.

Was Billy Wilder ausmacht, ist seine Ode an das Gute im Menschen, das sich eigentlich in fast jedem von uns wiederfinden lässt. Seine Helden sind tollpatschige, liebenswürdige Männerfiguren wie der tapsige Spielplatz-Polizist Jack Lemmon in »Das Mädchen Irma La Douce«, Tony Curtis und Jack Lemmon in »Manche mögen’s heiß«, die sich als Frauen verkleiden, um der Arbeitslosigkeit zu entgehen, William Holden, der sich in »Sunset Boulevard« in einer Schaffenskrise befindet, oder Tom Ewell, der völlig ungeschickt und unbeholfen vor Liebe in »Das verflixte 7. Jahr« agiert. Billy Wilders Figuren brauchen keine großen Heroen oder Sieger zu sein, um die Helden unserer allen Herzen zu sein. Sie sind Menschen wie Du und Ich. Sie alle kämpfen mit ihren kleinen oder größeren Problemen, sie alle haben ihren eigenen Alltag, manchmal können Menschen Menschen helfen, manchmal geht alles gut aus, meistens siegt der, die oder das »Gute«. Manchmal nicht.

Denn manchmal ist es fatal und pessimistisch. In einem meiner Lieblingsfilme von ihm »Frau ohne Gewissen« vermittelt er uns ein Menschenbild, das auf den ersten Blick höchst trügerisch und hinterhältig ist – grandios gespielt die Femme fatale von Barbara Stanwyck und Fred MacMurray als ihr Komplize. Doch besonders die männliche Hauptfigur erscheint uns so nahe, dass wir uns fragen müssen: Sind nicht gerade auch diese Gefühle äußerst menschlich? Wie weit muss MacMurray gehen für die Frau, die doch gerade sein Herz zutiefst eroberte? Sie hingegen liebt ihren Mann nicht mehr, will ihn loswerden. Und dabei noch ordentlich absahnen. Wilder zeigt uns – geprägt vom Pessimismus der damaligen zeitaktuellen historischen Ereignisse –, dass auch solche Gefühle wie Hass in uns schlummern können. Hier provoziert er ihn bis aufs Äußerste: Er führt bis zum Mord. Er fragt den Zuschauer nach der Moral.

Erstaunlich ist es aber doch, wie er es in seinem Film »Das Mädchen Irma La Douce« konkret auf den Punkt bringt: »Das ist die Geschichte von Irma La Douce. Eine Geschichte voll Leidenschaft, Blutvergießen, Sehnsucht und Tod. Kurz: Alles, was das Leben lebenswert macht.« Tja, das ist es, trotz überspitztem Unterton. Die Welt und das Leben und der Mensch. Bei Billy Wilder gehört all der Schmerz, die Schwierigkeit und Last zum Leben, ohne dabei irgendetwas zu verharmlosen, aber vor allem auch ohne irgendetwas aufzupusten. Da darf im Gerichtssaal auch mal über den lieblichen alten Herrn Anwalt – der Wahnsinn: Charles Laughton als Sir Wilfried in »Zeugin der Anklage« – gegrinst werden, eine Fahrt zum Polizeipräsidium zu einem spaßigen Erlebnis eines von Prostituierten umringten Polizisten und die Nazigesellschaft zur absoluten Lachnummer werden.

Mit voller Liebe zu seinen Figuren geht es auch in seinem Meisterwerk »Manche mögen’s heiß« zu, wenn es am Ende auf die Äußerung des als Frau verkleideten Jack Lemmon »Ich bin ein Mann!« vom Boot fahrenden Joe E. Brown heißt: »Na und. Niemand ist vollkommen. « Billy Wilder, so tolerant er ist, erschafft einen der größten Kinomomente der Filmgeschichte und beweist wie selbstverständlich, dass die Liebe keine Geschlechter oder Oberflächlichkeit kennt, um Liebe zu sein. Sie ist dieselbe Liebe. Ähnliche Rufe können wir auch in einer Szene aus »Das Mädchen Irma La Douce« erhören, in der der Protagonist die Nacht mit einer Prostituierten verbringen will und dann zuerst Zeitungen vor die Fenster klebt, damit sie keiner sehen kann: »Bedenken Sie doch mal in was für einer bösen Welt wir leben. Liebe ist illegal, aber Hass nicht. Man darf jeden Menschen hassen, wann und wo man will. Und kein Mensch ist darüber empört. Aber wenn man jemanden liebhaben will, dann muss man sich in der dunkelsten Ecke verstecken.« Wie es dort auf das Zusammenleben mit einer Prostituierten bezogen ist, so können wir einen noch viel zeitaktuelleren Ruf nach Freiheit der Liebe entziehen wie die Homoehe. Denn eine Handvoll Männer Hand in Hand und Arm in Arm im »Stalag 17« zu »I Love You« tanzen zu lassen, ist für Billy Wilder nichts sonderlich Ungewöhnliches.

»I have ten commandments. The first nine are, thou shalt not bore. The tenth is, thou shalt have right of final cut.«

Wenn ich Billy Wilder gucke, kommt mir das Leben für eine Weile ein bisschen leichter vor. Sensibel, eben ein echter Krebs. Und Billy, gelangweilt hast du mich nie. 


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